Nachrufe für unsere verstorbene Kollegin Ursula Elsner

Abschied von Ursula
14. Mai 2022 in Erxleben/Sachsen-Anhalt
Trauerrede von Jutta Heppekausen

Lieber Dieter, liebe Julia, liebe Karin, lieber Ralf!
Liebe Famile, Freund:innen, Kolleg:innen!
Dies ist nun die Stunde des gemeinsamen Abschied von Ursula.

Abschiednehmen heißt auch, sich Bilder zu machen.
Im gegenseitigen Erzählen können sie lebendig werden.
Sie verändern sich im Laufe der Zeit, und irgendwann bleiben sie stehen, werden auch sie still.

Jedenfalls: diejenigen, die gegangen sind, können nicht mehr widersprechen.
Ich sehe Ursula bei diesen Worten:
mal ihre ein wenig spöttischen Mundwinkel, mal sarkastisch, fast bitter, mal erfreut, das aber vorsichtig! Der uralte Wunsch nach Wertschätzung – ein verletzliches Etwas ...

Hier im Raum sind jetzt so viele verschiedene Bilder.
Ein paar Momente aus meinem Erleben mit Ursula möchte ich mit euch/Ihnen teilen:

1997, Pädagogische Hochschule Freiburg:
Ich sehe sie über den Campus PH Freiburg rennen. Ja, rennen. Ein großer Rucksack. Er ist voller Bücher und Ordner: Angebote für Ihre Studierenden.
Ich frage sie spontan, ob wir nicht zusammen ein Seminar machen wollen. Sie sagte sofort Ja. Es passte, denn das Thema war „Das Leben ist schön“, Roberto Begninis zauberhafter Film über die Kraft der Phantasie und des Humors in einer Welt voller Gewalt .

Kennen gelernt hatten wir uns kurz davor im „Damensalon“, auch Lila Streik genannt: die PH-Frauengruppe. Hier war sie richtig, denn es ging darum, sich zu wehren:  gegen berufliche Kränkungen, gegen Diskriminierung als Frau, als DDR-Frau, deren Land über sie hinweg migriert war.
Empfindliche Momente: DDR = STASI? Da konnte sie bissig werden. Und mit Vorlesungen zur Exil- und DDR-Literatur kontern.

Mit unseren unterschiedlichen Biographien (Ost – West), aber im selben Jahr geboren, machten wir uns die folgenden Jahre gemeinsam auf die Suche – bei aller Verbundenheit auch mit unseren Unterschieden ringend, manchmal auch recht heftig, aber immer mit gutem Ende:
23 Jahre gemeinsamer Seminare, unsere Suche nach einem lebensbejahenden Umgang mit Flucht, Krieg, Vertreibung, NS-Erbe – immer mit Poesie, mit Theaterspielen, mit viel Raum für ganz persönliche Lesarten, eigene Erfahrungen, echte Fragen ... mal eine Gedichte-Werkstatt, mal Romane, mal Filme.
Wir brauchten immer Seminarlänge: große Themen, aber auch Ursulas genüssliches Mäandern, wenn sie tief in ihren Rucksack des Wissens griff (die ganze Welt als Intertextualität).

Immer wieder ging es ihr und uns ums Hinschauen: Auschwitz, auch Kreisau (mit Herrn Geiger und Sibirien mit Herrn Wiechert).
Unsere Reisen im PH-Auftrag: „Die schöne Frau Seidenmann“ (Andrzej Szczypiorski), zuerst mit Studierenden in Freiburg, dann in Krakóv/Polen: Welche Echos leben in den jungen Generationen fort von der NS-Zeit und der deutschen Okkupation? Suchen auch sie? Und welche Räume für Entscheidungen und widerständiges Handeln nehmen sie sich?
Mit Georg Büchners „Woyzeck“ in Baku, mit theaterpädagogischen Methoden forschten wir zusammen mit jungen Frauen, wie sie Marie verstehen, wovon sie selbst heute träumen.
Und natürlich immer wieder Anna Seghers und die nicht enden könnende Frage: Wie hätten wir gehandelt angesichts von Verfolgung, Flucht und Gewalt? Bei meinem letzten Seminar 2019 zu „Transit“ hat Ursula noch aus dem Hintergrund mitgewirkt und Spuren hinterlassen, nicht nur mit ihrer Fürsorge, mich beim Vorbereiten zu bekochen.

Kleine Ausbrüche, gemeinsame Freude, Genuss:
Cafés in Krakóv, wir haben wohl alle polnischen Suppen ausprobiert
Das klapprige Taxi mit dem ebenso klapprigen Fahrer in die Berge Aserbaidschans, wo wir unerwartet und herzlich in Häuser eingeladen wurden; die unterhaltsame Fußpflege und die Wellness im Hamam von Baku. In Freiburg viele Theaterbesuche, Picknick am Bach, gemeinsame Feiern, Jubiläen, Abschiede.

„Das Leben ist schön“ – stimmte das für Ursula? Diese Behauptung - eine Art rebellische Provokation? Eine tiefe Sehnsucht? – und auch Ursulas Erfahrung ...
Auf jeden Fall: kein Verleugnen von Schmerz und Schwäche: Ursula will verstehen, aussprechen, widersprechen. Die Lektionen des
Verschweigens und Verleugnens aus der deutschen Geschichte will sie nicht fortsetzen – auch später, als die Krankheit sie gepackt hat, bleibt sie dabei.
Und gleichzeitig: Ja, Angegriffene schützen, stützen

Manchmal auch mit ihrer ganzen körperlichen Kraft, die sie, wie sie selbst erzählte, bedenkenlos einsetzte: Raubüberfall in Argentinien – Ursula wirft sich kurzentschlossen schützend über Dieter!

Und ganz besonders Kinder, die Nachgeborenen. Ganz oben auf der Liste der lebensstärkenden Kräfte rangierte für Ursula die kunstvolle Fiktion, die phantastische Welt der Literatur: Ursula, die Lesende, die Erzählende: Sie steckt Kinder, Enkel und Studis damit an. Stolz erinnert sie sich: Milans erste Leseerfolge, Delia, damals 7: „Erzähl mir eine Geschichte ohne Buch!“ und Ursula legt los. Jasmine, die Jüngste: „Ich weiß schon, was jetzt kommt ... Rotkäppchen ...“.

Im Beruf ist sie eine begeisterte und nach Möglichkeiten begeisternde Lehrerin bei den Schulpraktika, ihr aufmerksamer Blick auf Ausgeschlossene, ihre bis zur Erschöpfung, manchmal über die eigenen Grenzen gehende Arbeit mit Studierenden: produktive Annäherungen an die geschriebenen und auf der Bühne erlebten Schätze, Ermutigung zum Selberdenken und das aber genau!
Ihr interessierter Blick, Lesende als Bündnispartner:innen – eben auch beim Träumen. „Imagine“ – eben haben wir auf Ursulas Wunsch diesen Song gehört.  Sie wusste: „I am not the only one“. So bildete sich um sie herum ein großes Netzwerk von Beziehungen, weit über die Familie hinaus, wie wir hier an den vielen Blumenkränzen sehen. Kontakte bis zuletzt:
Schüler:innen aus der ABF-Klasse (Arbeiter- und Bauernfakultät) –
Studienkolleginnen, ehemalige Professor:innen, ... Kolleg:innen,
PH-Studierende. Eben haben wir den Nachruf von Martina Lins und Kommilitoninnen hören können.
Der große Kreis der Anna Seghers- Gesellschaft (hier war Ursula lange Jahre im Vorstand und im Argonautenschiff als Autorin aktiv)
Auch für den Bereich der PH Freiburg galt für Ursula das „sich Einmischen in die eigenen Angelegenheiten“ (Max Frisch).
In der Redaktion von PH-FR wurde jahrzehntelang mit Sorgfalt jedes Wort geprüft.
Als Gleichstellungsbeauftragte und jahrelanger Mitarbeiterin in diesem Bereich konnte sie u.a. vom oft mühsamen Geschäft der Berufungsverfahren berichten.
Nicht zuletzt erlebten wir durch sie all die freiwilligen Veranstaltungen für Studierende und Lehrende.
Und natürlich von Anfang bis Ende ihre Teilnahme an der Intervisionsgruppe „Pädagogische Professionalisierung“ in der Pädagogischen Werkstatt: Dort konnte sie Hilfe angenehmen und geben.
In diesem Moment haben Marion, Franziska, Hildegard und andere Kerzen angezündet und denken an Ursula.

... und so vieles mehr ...

Vor 5 Jahren: Schluss. Krebs. Ursula begann uns zu fehlen.
PCB -Skandal besonders im KG 4, in dem Ursulas Büro lag: „An den Fingern beider Hände kann ich die Toten aufzählen.“ Ursula kämpfte auch hier, zusammen mit Dieter - und verzweifelte daran, schrieb Briefe und - schon krank - kam sie ein letztes Mal zur PH und meldete sie sich zum Umgang mit dem Gift in den Wänden auf einer Mitarbeiter:innenversammlung zu Wort.
Dass das PH- PCB an diesem Sterben schuld war, konnte zwar nicht bewiesen werden, aber auch nicht das Gegenteil.

Ursulas letzte Phase begann: unser gemeinsamer Umzug mitten in der Pandemie zurück in ihre Herkunftslandschaft. Es war zuerst ihre Idee, dass wir alle nach Potsdam zogen! Auch dafür bin ich dankbar.
War sie hier „die Kranke“? Nee! Ihr Motto: Nicht verschweigen, sondern entscheiden: Diese Krankheit gehört zu mir. Aber ich bin mehr als das!
Letztes Sylvester, Treppe hoch, dann bis halb zwei angeregte Gespräche über viele ihrer Lebensthemen.

Manchmal sank ihr der Mut und sie versank im Hadern. Nicht immer war es leicht, sich der Abwärtsspirale zu entziehen, vor allem nicht für sie selbst - und auch nicht für die Menschen um sie herum.
Vor allem Dieter war immer für sie da.
Bei allem.
Mit allem.
Schrecklich die endgültige Ohnmacht zu erleben.
...
Ihr letztes SMS-Foto an mich vor wenigen Tagen: Die explodierende Blütenpracht des Frühlings. Den erneuten Krieg hat sie schier nicht mehr ertragen können.
Dieter schiebt sie durch Potsdams Parks und in unseren Garten.
Fast alle ihre Lieben waren in diesen letzten Tagen bei ihr.
Und dann war ihre Kraft zu Ende, der Krebst hatte gesiegt.
Ich glaube, da hat sie sich entschieden zu gehen.

Volker Braun hat ihr oft aus der Seele gesprochen:

Ja, mein Sehnen geht ins Ferne
Wo ich heitre Dinge treibe.
Doch bestimmen mich die Sterne
Dass ich fest am Boden bleibe.
Und so gern ich mich erhebe
Zieht mich eine Last nach unten
Eingenäht in mein Gewebe
Hat sie ihren Ort gefunden.

Liebe Ursula,
Meine Dialoge mit dir, sind noch lange nicht zu Ende. Ich bin dir zutiefst dankbar, dass du all diese Jahre in meinem Leben warst.

Jutta Heppekausen
Potsdam
 

Nachruf
von Dr. Adalbert Wichert, Prof. i.R. am Institut für deutsche Sprache und Literatur

Ich kam an die PH FR im Frühjahr 1994 zeitgleich mit Ursula. Wir lebten zur Überbrückung ein Semester lang in einer Art WG. So begann eine Freundschaft zwischen uns und unseren Partnern, die uns nun zu ihrem Grab führt.
Der letzte Satz in ihrem letzten Brief an Annemarie und mich lautete am Jahresende: „Auf dass UNS das neue Jahr wieder in Präsenz! Zusammenführen möge“.
Ursula hatte sich also noch lange nicht aufgegeben: Diese leise, behutsame, warmherzige Frau war immer auch eine Kämpferin gewesen: Sie nahm Herausforderungen an, suchte sie oft sogar.
Das galt auch für Ursula als Wissenschaftlerin.
Ich spreche jetzt hier nicht über unsere Freundschaft. Ich spreche für das Institut für deutsche Sprache und Literatur an der Pädagogischen Hochschule Freiburg.
Mutig kam sie aus der Literaturwissenschaft der DDR in den äußersten Südwesten Deutschlands. Sie brachte uns und ihren Studierenden den Blick auf im Westen vernachlässigte Gegenwartsliteratur nahe, allen voran Anna Sehers, zu der sie in der renommierten literaturdidaktischen Reihe Oldenburg-Interpretationen publiziert hat.
Freiburg lernte Franz Fühmann kennen. Über ihn hatte sie promoviert.  Sie las mit den Studierenden Christa Wolf, Durs Grünbein, Stefan Heym, Christoph Hein, Brigitte Reimann, um nur einige andere zu nennen.
Darüber hinaus brachte sie die in Leipzig entwickelten literaturwissenschaftlichen Methoden mit, eine spezifische Ausrichtung der rezeptionsästhetischen Literaturtheorie. Ihre Maxime: Literatur ist nicht das Gedruckte, sondern das von Lesern gelesene Gedruckte. Und hier kam uns Freiburgern zugute, dass Ursula eine durch und durch politische Frau war, die die Freude an Literatur immer auch mit ihrer politischen Wachheit verband:
Für sie stand „im Mittelpunkt … die Frage, wie ideologische Klischees und ‚Fehllektüren’ in Ost und West die bisherige Rezeption“ der sog. „DDR-Literatur“ prägten. „Zeitgenössische Wirkungs- und Rezeptionsweisen (geben) zugleich Aufschluss über Literaturvorstellungen gesellschaftlicher Eliten (…), die oft genug nicht ästhetischer, sondern politischer Natur waren und sind.“
Das konnte nicht nur Freiburg von Ursula Elsner lernen. Von 2005 bis 2013 wurde ihr die ehrenvolle Aufgabe übertragen, als Vorsitzende die Anna-Sehers-Gesellschaft zu führen, deren Redaktionsmitglied sie tapfer bis zu ihrem Tod blieb.
Ursula war eine sehr, sehr kommunikative und kommunikationsfreudige Dozentin. Gerne praktizierte sie das zeitaufwendige dialogische, auch interdisziplinäre Lehren, etwa mit dem Theaterdidaktiker Reinhold Voß, mit der Erziehungswissenschaftlerin Jutta Heppekausen, mit dem Literaturdidaktiker Rudolf Denk.
In 20 Jahren hat Ursula zusammen mit Reinhold Voß das Seminarangebot „Projekt im Theater“ entwickelt. Das Besondere daran: Ursula hat enge Kooperationen mit den Freiburger Bühnen aufbauen können. Die Studierenden sollten Gelegenheiten bekommen, Theater aus vielen Perspektiven zu erfahren:

Textarbeit, Literatur- und Theater-Theorie, Bühnen-Praxis an verschiedenen Spiel-Orten, Planung, Proben und Aufführungen zu erleben, und auch eigene theaterpraktische Erfahrungen zu machen. Eine wunderbare und bei Studierenden hoch geschätzte Vorbereitung für die didaktische Heranführung von Kindern und Jugendlichen an die Theaterkultur.
Die Freude an Begegnungen, die Bereitschaft, über die Dienstverpflichtungen hinaus mutig Neuland zu betreten und politisch bewusst den kulturellen Dialog zu suchen, das hat mich mit Ursula verbunden im Rahmen von europäischen Erasmus-Programmen. Unvergessen wird mir unsere Kooperation mit dem sibirischen Krasnojarsk bleiben, die Art, wie Ursula dort die Herzen der Studierenden gewann.
Und dann vor allem unsere Kooperation mit dem entsprechenden Institut der Pädagogischen Universität Krakau: Die persönlichen Kontakte zu den Dozierenden, das Unterrichten der polnischen Germanistik-Studierenden, das Heranführen unserer Lehramtsstudierenden an die polnische Kultur und das polnische Schulsystem, unsere Studierenden beim Unterrichten in polnischen Schulen zu begleiten, die polnischen Gaststudierenden und Gastdozentinnen in Freiburg zu betreuen, das alles war Ursulas Herzensangelegenheit. Nach meinem Ausscheiden aus dem Dienst hat Ursula diesen Dialog zusammen mit Eckehard Geiger ausgeweitet auf deutsch-polnische Begegnungen in Kreisau und Auschwitz.

Heute, am Grab, bleibt uns, den Kolleginnen und ihren Studierenden nur, Danke zu sagen. Danke, Ursula Elsner. Danke, Ursula

Trauerrede vom 14.05.2022 in Erxleben

Denken wir an Frau Dr. Ursula Elsner, geboren am 21.10.1954 in Magdeburg, verstorben am 30.04.2022 in Potsdam, dann denken wir weniger an Daten, Fakten ihren Lebenslauf, sondern wollen nach dem ersten Schock und der Trauer über ihren viel zu frühen Tod nun versuchen, gemeinsam Worte zu finden, die sie in unserer Erinnerung aus der Studienzeit, aber auch weit darüber hinaus lebendig werden lassen.

Mein Name ist Martina Lins, ich bin ehemalige Lehramtsstudentin der Pädagogischen Hochschule in Freiburg mit dem Hauptfach Deutsch und stehe heute hier als Vertreterin der Studierendenschaft; auch für diejenigen, die heute nicht anwesend sein können, aber in Gedanken teilnehmen und vielleicht genau in diesem Augenblick eine Kerze anzünden. Da Ursula uns zuletzt das Du angeboten hatte, werden wir sie auch heute so ansprechen.

Denken wir an Ursula, dann denken wir an eine ganzheitlich gebildete, mutige, engagierte Frau, Ehefrau, Mutter, Oma, Freundin und für uns in erster Linie wundervolle Dozentin mit kritischem Geist und messerscharfen Verstand, voller Herzensgüte und Bescheidenheit, deren Berufung es war, das Feuer und die Leidenschaft für Theater und Literatur sowie den Umgang mit literarischen Texten bei uns Studierenden zu entfachen. Dein Wissen, von dem wir so sehr profitieren konnten, schöpftest du aus deinem Studium der Germanistik an der Karl-Marx-Universität in Leipzig. Deine Dissertation über Franz Fühmann, noch auf der Schreibmaschine von Hand getippt (wer von uns würde das heute noch fertig bringen?) brachte dir den Ruf der „Fühmann-Expertin“ ein. Nach deiner Tätigkeit als Lehrerin im Hochschuldienst der Pädagogischen Hochschule Magdeburg führte dich dein Weg 1994 an die Pädagogische Hochschule nach Freiburg, wo wir uns begegnen durften.

Wir haben dich in deiner 24- jährigen Lehrtätigkeit als akademische Rätin bzw. Dozentin von 1994 bis 2018 als äußerst engagierte Germanistikdozentin mit Leib und Seele erlebt, du hast uns das Wissen immer ganzheitlich mit Herz, Kopf und Hand auf ganz besonderer Art und Weise vermittelt, humorvoll, kreativ, interdisziplinär in Kooperationen mit anderen Instituten, auf Exkursionen, in Verbindung mit deinen eigenen Lebenserfahrungen. Viele von uns hatten nur ein Seminar bei dir - z.B. Schillers Räuber (in Kooperation mit einer Uni in den USA und dem Theater Freiburg), Flucht und Vertreibung (zusammen mit Herrn Geiger in der Pädagogischen Werkstatt) oder auch immer wieder Projekte im Theater – und doch sind sie uns heute noch immer ganz präsent.

Woran liegt das, wenn man sich 15 Jahre später selbst noch an Details erinnern kann und die Inhalte so eindrücklich in einem fortleben? Lehre und die damit verbundene Methodik und Didaktik waren für dich Herzenssache und Kernelement, keine Nebensache. Dein hoher Anspruch ließ es nicht zu, unvorbereitet in Seminare zu gehen; es war dir ein innerliches Bedürfnis, Seminare und Vorlesungen präzise zu konzipieren, durchzudenken und vorzubereiten, damit eine tiefe, kritische Auseinandersetzung mit dem Stoff ermöglich werden konnte. Welch Wohltat in unserer heutigen doch so schnelllebigen Zeit, den Dingen auf den Grund gehen zu dürfen/können und dabei begleitet zu werden.

Darüber hinaus hattest du eine besondere Gabe, hoch komplexe und auch schwierige Texte, seien sie aus der Antike, dem Mittelalter oder der Neuzeit zu übersetzen, in den jeweiligen Lebenskontext zu stellen und voller Leidenschaft zu vermitteln. Somit wurde Literatur für Neulinge und Interessierte plötzlich zugänglich, aufregend, man konnte sie mit allen Sinnen erleben, in sie eintauchen, besonders auch an außerschulischen und außeruniversitären Lernorten. Der größte Lernzuwachs gelang durch einen Dialog auf Augenhöhe, der zur Horizonterweiterung führte. Du warst scharfsinnig und unermüdlich daran interessiert - gerade auch unter den Studierenden, neue kritische Denker*innen zu entdecken und zu prägen.

Deshalb hast du uns dazu animiert, inhaltlich fundiert und genau zu arbeiten, sich die Wichtigkeit und Tragweite deiner und unserer vorgetragenen Inhalte bewusst zu machen - nicht in die Gefahr zu kommen, unkritisch zu konsumieren, etc. Mitzuschreiben, ohne mitzudenken, das gab es bei Ursula nicht. Und du konntest dich beinahe persönlich angegriffen fühlen, wenn einem mit 20 Jahren der ein oder andere Studien-Auftrag nicht wichtiger schien als eine laue, entspannte Sommernacht an der Dreisam.

Dein Herz schlug trotz oder gerade wegen dieses Anspruchs für unsere Belange als Studierende, die du stets ernst nahmst. Du hast uns zum eigenständigen Hinterfragen und Nachdenken angeregt auch über Themen, die dir besonders am Herzen lagen, wie z.B. Flucht und Vertreibung, der Ost-/Westkonflikt, die Gleichstellung der Frauen. Doch du musstest das nicht künstlich tun, du lebtest das einfach und das Feuer sprang über … beim Rezitieren des Nibelungenliedes unterm Kastanienbaum, bei den Theaterfahrten … in der Pädagogischen Werkstatt ….

Schreiben zu können, es versuchen zu dürften, sich durch und über die Literatur auszudrücken, Biografien mitzuverfolgen, anhand der Literatur und des Theaters die Welt zu verstehen, Trost und Inspiration in ihnen zu finden, sich nicht unwissend fühlen zu müssen, sondern an die Hand genommen zu werden … in deiner Schreibstube zu sitzen, dort zu verweilen, in der Sprechstunde oder bei einem Tee deine literarische Aura wahrnehmen zu dürfen … du warst und bist uns ein Vorbild. Literatur, Kultur, Theater sollten für jeden zugänglich und nicht nur einer speziellen Schicht vorbehalten sein, die Gedanken eines Schülers/ einer Schülerin interessierten dich genauso wie die der Mitglieder der Anna Seghers Gesellschaft, deren Mitglied und Beisitzerin du warst.

Als Lehrperson ging es dabei aber niemals um dich als Person, ein sich in den Mittelpunkt stellen lag dir fern. Du bliebst lieber im Hintergrund, warst Vermittlerin, Botschafterin, ruhig, leise aber manchmal auch laut und umso kämpferischer mit revolutionärem Widerstandsherz. Mut, Kampfgeist und Tapferkeit sind immer an deiner Seite geblieben, besonders, wenn du etwas als für nicht hinnehmbar einstuftest, auch mit dem Risiko, allein im Kampf gegen die Veränderung der Strukturen in der Lehre und der Hochschulpolitik dazustehen. Frei nach Ingeborg Bachmann: „Sklaverei ertrag ich nicht. Ich bin immer ich. Will mich irgendetwas beugen. Lieber breche ich. Kommt des Schicksals Härte. Oder Menschenmacht. Hier, so bin ich und so bleib ich. Und so bleib ich bis zur letzten Kraft(…)“.

Aufgeben kam nicht in Frage, weder an der der Hochschule noch im Kampf gegen deine Krebserkrankung… dafür war die Neugier auf und die Liebe zum Leben zu groß, aber zum Schluss loslassen können, um in Frieden gehen zu können, du wolltest es und konntest es, welche Stärke … ein Geschenk.

„Wenn ihr mich sucht, sucht mich in euren Herzen, habe ich dort einen Platz gefunden werde ich immer bei euch sein“ (Antoine de Saint-Exupéry). Die gemeinsamen Gedanken für diesen Nachruf sind teilweise in der Sahara in Tunesien entstanden, unterm Sternenhimmel in der Stille der Wüste, auch beim Unterrichten im Klassenzimmer, während der Arbeit im Krankenhaus … du siehst, wir haben dich mitgenommen, an andere Orte, in andere Länder, in die Klassenzimmer, in das Erleben der Schüler*innen, in die Theater, die Welt der Literatur … welch Segen ist es, seiner Bestimmung folgen zu dürfen … denn das war es für dich.

Jetzt hast du das Schiff bestiegen wie damals die Familie Radvanyi, jedoch in eine andere Dimension. Du wirst in uns, deinen Studierenden und Schülern weiterleben und unvergessen bleiben. Wir sind von Herzen dankbar, dass wir von dir lernen, dich erleben, mit dir befreundet sein und einen Teil der Wegstrecke mit dir gemeinsam gehen durften. Die literarischen und humanistischen Samen, die du gesät hast, werden weiter blühen und Früchte tragen.

Verfasst von Dorothée Hagenstein, Charlotte Busert, Marta Zoladz-Buchert und Martina Lin