Aufbruch, Mut und Durchhaltekraft – Das Eindringen jüdischer Studentinnen in die Männerbastion Wissenschaft am Beispiel der Universität Freiburg 1890 – 1933

ein Vortrag von: Martina G. Herrmann (Unabhängige Frauen Freiburg) an der Pädagogischen Hochschule Freiburg

Der Bildungsweg von Frauen war bis weit ins 20. Jahrhundert schwierig, die akademische Bildung musste regelrecht erkämpft werden. In verbisse­ner Geschlossen­heit wehrten die deutschen Universitä­ten jeden Versuch ab, das Frauenstudium einzuführen. Vorstöße hatte es bereits im 19. Jahrhundert vie­le gege­ben, sei es direkt – und immer dringlicher und lauter – von Frauenvereinen, sei es über die Mi­nisterien in einzel­nen Ländern des Reichs, die durch derartige Vorstöße in Handlungsdruck gerieten, sei es durch das Bei­spiel anderer Länder. Vor allen Dingen war es die deutsche Pro­fessorenschaft, die in die­ser Frage eisern und mit großer Mehrheit bei einem Nein blieb. Noch 1898 meldete Prof. Dr. Hein­rich Ro­sin, Prorektor der Universität Freiburg, seinem Minister in Karlsruhe: an keiner deutschen Uni­versität sei Frauenimmatriku­lation zuge­lassen noch werde sie irgendwo ernsthaft erwogen.

Unter den jungen Frauen, die nach dem ministeriellen Erlass vom 28. Februar 1900 an die badi­schen Unis kamen, waren erstaunlich viele Jüdinnen. Für 1928 liegen Zahlen vor: in Freiburg studierten im Sommersemester 699 Studentinnen, davon gaben 13 % als Religionszugehörigkeit „israelitisch“ an (reichsweit waren es 7% aller Studentinnen).

Dabei war ihr Bildungsweg komplizierter als der anderer Studen­tinnen und sie waren der dop­pelten Diskriminierung als Frau und als Jü­din aus­gesetzt. Aber sie begeg­neten den Schwierigkeiten er­fahrener. Denn sie hatten sich von Kindheit an häufig in zwei Bildungskul­turen bewe­gen müssen: in der traditionell jüdischen in Sprache, Schrift und Inhalten so­wie in der christ­lich ge­prägten, die die öffentliche Schule allen Kindern vermittelte. Für jüdische El­tern war es im 19. Jahrhun­dert selbstverständ­lich geworden, ihre Kinder soviel und so lange wie mög­lich im öf­fentlichen Bil­dungssystem lernen zu lassen und dafür zu bezahlen. Bildung war ein hohes Gut. Diese Hoch­schätzung war jü­disches Erbe. Sie auch den Töchtern auf allen Ebenen zugäng­lich zu ma­chen, war in vielen Fami­lien üblich.

Drei junge Mädchen einer Generation sollen illustrieren, wie die Teilhabe an Bildung aussah:

Rahel Goitein 1905

Rahel Straus, geb. Goitein

1880 Karlsruhe – 1963 Jerusalem / orthodoxe Jüdin

1899 Abitur am ersten deutschen Mädchengymnasium in Karlsruhe

1900-1905 Studium der Medizin in Heidelberg

1907 Promotion

1908 - 1933 gynäkologische Praxis in München

Rahel Strauss war in München zwar nicht die erste Ärztin unter ausschließlich Männern, aber sie war die erste, die an einer deutschen Universität ausgebildet worden war, in Baden, das als erstes Land im Reich das Frauenstudium erlaubt hatte.

Lise Meiter 1906

Lise Meitner

1878 Wien – 1968 Cambridge / evangelisch erzogen, 1908 getauft

1901 externes Abitur am Akademischen Gymnasium Wien

1901 – 1906 Studium der Physik, Mathematik, Philosophie in Wien

1906 Promotion in Physik

1922 Habilitation, 1926 ao. Professorin in Berlin

Lise Meitner wurde also erst vier Jahre nach der Habilitation außerordentliche Professorin in Berlin. Sie wurde damit die erste Professorin für Physik an einer deutschen Universität.

Agathe Lasch 1898

Agathe Lasch

1879 Berlin – 1942 Riga (ermordet) / ohne sichtbaren Religionsbezug

1898 – 1906 Lehrerin an privaten Mädchen-und Gewerbeschulen in Berlin und Halle/Saale

1906 externes Abitur an einer Knabenschule in Berlin

1907 – 1909 Studium der Germanistik und Romanistik in Halle und Heidelberg

1909 Promotion

1910 – 1916 Associate Professor am Bryn Mawr College in Pennsylvenia/USA

1919 Habilitation / 1923 Professorinnentitel

Agathe Lasch habilitierte sich 1919, blieb aber weiter "Hilfskraft" in einem Institut. Der Hamburger Senat verlieh ihr schließlich vier Jahre später wenigstens den Titel "Professorin", ohne dass sie eine Stelle bekam - es gab in Hamburg gar keine Universität.
1926 erste professorale Stelle der neugegründeten Hamburger Universität/ erste Germanistik-Professorin in ganz Deutschland

Drei deutsche Akademikerinnen zwischen Akkulturation, Assimilation und wissenschaftlicher respektive berufli­cher Karriere. Nichts deutet in den Biographien darauf hin, dass Judentum für die Karriere jeder ein­zelnen ein echter Hemmschuh war. Zu eng sind Frausein und Judentum miteinander verquickt, als dass es sich im Einzelnen trennen ließe – Diskriminierung war es in jedem Fall. Gemeinsam war ihnen ein unbezähmbarer Wis­sensdrang, unermüdliche, freudige Lernbereitschaft, wache Neugier und zähes Durchhaltevermö­gen. Sie resignierten nicht, sie suchten neue Wege und wechselten im Zweifel den Ort. Weder die sozia­le Herkunft, noch der Bildungsgrad im El­ternhaus hielten sie ab. Ihr Weg an die Universität scheint uns im Nachhinein alternativlos, jede beschritt ihn unbeirrt.

Umso tiefer war der Einschnitt des Jahres 1933. Das Gesetz vom 7. April 1933 machte sie un­terschiedslos zu Jüdinnen, ob sie getauft waren, sich vom Judentum distanziert hatten oder gläubige Jü­dinnen geblieben wa­ren – die Rassenideologie schredderte ihre Laufbahn, beraubte sie ihrer Titel, zer­riss ihr Le­ben, zerstörte es im schlimmsten Fall.

Dieses Ende wissen wir. Mein Vortrag soll vor allem über Biographien und Bildungswege j u n g e r Frau­en berich­ten, die in Freiburg studiert haben, die dazu ihr Leben mit Mut, Optimismus, Energie und Disziplin in die Hand genommen haben. Er wird von gebürtigen Freiburgerinnen erzählen, aber auch von Studentin­nen, die nur zum Studieren nach Freiburg kamen.

Eine Ausstellung tabellarischer Biographien ergänzt den Vortrag.