Biografisch orientierte Fallarbeit

Ilka Lüsebrink, PH Freiburg, Fachrichtung Sportwissenschaft und Sport

Der Ansatz, lebensgeschichtliche Erfahrungen und biografische Perspektiven sowie grundsätzlich Narration mit pädagogischer Forschung zu erfassen und auch für die pädagogische Praxis anschlussfähig zu machen, blickt mittlerweile auf eine gewisse Tradition zurück. So stellen Baacke und Schulze bereits 1993 fest, dass sich dieser „zu dem Programm einer hermeneutisch und biographisch orientierten Pädagogik verdichtet“ habe. Der Kristallisationspunkt jener Perspektive manifestiert sich in dem Ansinnen, „(a)us Geschichten lernen“ zu können, um so pädagogisches Verstehen einzuüben (ebd.). Dieser Gedanke ist auch in der Sportpädagogik mit Blick auf unterrichtliche Situationen etabliert (vgl. exemplarisch Scherler, 2004; Schierz, 1997); die biografische Dimension der Interpretation unterrichtlicher und auch in einem weiteren Sinne pädagogischer Situationen wurde bisher jedoch (noch) nicht systematisch in den Blick genommen, obwohl dieses „biographische Wissen“ als handlungsleitend rekonstruiert werden konnte (Volkmann, 2008). Die Bedeutung biografischen Wissens für pädagogisches Handeln und Deuten von Sportlehrkräften scheint in besonderem Maße relevant, da zumeist eine stärkere biografische Vorerfahrung im und mit Sport gesammelt wurde, die darüber hinaus auch körperlich gebunden ist (ebd.). Diese ‚sportlichen Habitus’ zu irritieren, stellt nach Volkmann einen wesentlichen Aspekt der universitären Sportlehrer/innenausbildung dar.

Dass Fallarbeit wiederum zur Artikulation biografischer Erfahrungen anregt, zeigt die Studie von Lüsebrink (2006). Allerdings verweisen ihre Untersuchungen auch auf die Schwierigkeiten einer reflektierten Verwendung eigener Erfahrungen. So besteht die Gefahr, dass diese nicht zur „Vergewisserung“ in Form von Analogiebildungen genutzt werden, sondern durch Verallgemeinerung und Subsumtion den Status „biografischer Gewissheiten“ erhalten. Ein analogisierendes Vorgehen spricht im Anschluss an Buck (1989) demnach stärker für den Gang von Beispiel zu Beispiel als für ein primär fallrekonstruktives Vorgehen (vgl. Lüsebrink, 2010a, b). Messmer (2010) konnte in diesem Zusammenhang aufzeigen, dass es notwendig ist, sich intensiv mit für ein derartiges Ansinnen geeigneten Textformen auseinanderzusetzen, denn Wirkungen auf die Handlungsweise von Lehrpersonen sieht er primär im Gang von Geschichte zu Geschichte.

Das Projekt schließt an die o.g. Forschungsarbeiten an, bei denen aus unterschiedlichen Perspektiven enge Verbindungen zwischen Fallarbeit und biografischen Erfahrungen für die (Sport)Lehrer/innenausbildung nachgewiesen wurden. Ziel ist es, Ansatzpunkte für eine systematische Verknüpfung von Fallarbeit und biografischer Reflexion für die Ausbildung von Sportlehrkäften zu entwickeln und damit den Ansatz, aus Geschichten zu lernen weiter auszudifferenzieren.

Literatur

Baacke, D. & Schulze, T. (1993). Aus Geschichten lernen. Zur Einübung pädagogischen Verstehens. Weihnheim und München: Juventa.
Buck, G. (19893/1967). Lernen und Erfahrung – Epagogik. Darmstadt: Wis­senschaftliche Buchgesellschaft.
Lüsebrink, I. (2006). Pädagogische Professionalität und stellvertretende Problembearbeitung – ausgelegt durch Beispiele aus Schulsport und Sportstudium. Köln: Strauß.
Lüsebrink, I. (2010a). Wie viel Ungewissheit verträgt die Sportlehrer/innenausbildung? Wie viel Gewissheit erträgt die Profession? In P. Frei & S. Körner (Hrsg.), Ungewissheit – Sportpädagogische Felder im Wandel (Schriften der Deutschen Vereinigung für Sportwissenschaft, Bd. 200, S. 51-64). Hamburg: Czwalina.
Lüsebrink, I. (2010b). Sportlehrer/innenausbildung im Gang von Beispiel zu Beispiel. In: Schriftenreihe Fachdidaktische Forschung, Nr. 2, Juni 2010. Online verfügbar: http://www.uni-hildesheim.de/media/fff/Luesebrink_02-2010.pdf
Messmer, R. (2010). Ordnungen der Alltagserfahrung. Neue Ansätze zum Theorie-Praxisbezug und zur Fallarbeit in der Lehrerbildung. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
Scherler, K. (2004). Sportunterricht auswerten. Eine Unterrichtslehre. Ham­burg: Czwalina.
Schierz, M. (1997). Narrative Didaktik. Von den großen Entwürfen zu den kleinen Geschichten im Sportunterricht. Weinheim und Basel: Beltz.
Volkmann, V. (2008). Biographisches Wissen von Lehrerinnen und Lehrern. Der Einfluss lebensgeschichtlicher Erfahrungen auf berufliches Handeln und Deuten im Fach Sport. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.