Autobiographisches Erzählen im Fremdsprachenunterricht

Die Förderung rezeptiver und produktiver Kompetenzen durch Literatur, Film und soziale Medien

Die Ethik- bzw. Philosophie-Didaktik hat sich zuletzt intensiver mit dem Konzept einer autobiographischen Narrationskompetenz auseinandergesetzt. Leitend ist dabei der Gedanke, dass Formen des autobiographisch strukturierten Erzählens helfen können, um bei den Lernenden Prozesse der Selbstreflexion sowie der Orientierung und Krisenbewältigung anzustoßen.

Auch der moderne Fremdsprachenunterricht, so die These dieses Projekts, kann substantiell etwas dazu beitragen, personale Kompetenzen durch autobiographisches Erzählen zu fördern. Darüber hinaus ist der innovative Ansatz auch geeignet, grundlegende kommunikative Kompetenzen und spezifische Formen der Text- und Medienkompetenz gezielt zu entwickeln. Da autobiographisches Erzählen per se individuell und differenziert stattfindet, kann außerdem von einer persönlichen, stark lebensweltbezogenen Aneignung der Fremdsprache durch die Schülerinnen und Schüler ausgegangen werden, die ein erhöhtes Maß an Identifikation und Motivation erwarten lässt.

Aufbauend auf erste Ansätze der Englisch- und Französischdidaktik, soll in dem Projekt ein integrales Modell zur Förderung rezeptiver und produktiver autobiographischer Kompetenzen im Fremdsprachenunterricht erarbeitet werden, bei dem literatur-, film- und kulturwissenschaftliche Perspektiven einerseits und fachdidaktische Fragestellungen andererseits in einen produktiven Dialog kommen.

Aus literatur- und medienwissenschaftlicher Perspektive soll es dabei mit Blick auf ein zeitgenössisches Korpus an französischsprachigen Texten, Filmen und Social Media-Publikationen (insbesondere Youtube, Instagram) darum gehen, unterschiedliche Formen des autobiographischen Erzählens zu analysieren. Welche Erzähltechniken, rhetorischen Mittel und Topoi finden Verwendung? Handelt es sich dabei um neue Ausdrucksformen oder müssen sie in einer diachronen Reihe mit Klassikern der autobiographischen Tradition gesehen werden? Welche autobiographischen Verfahren lassen sich im Bereich der littérature de jeunesse nachweisen? Konvergieren die autobiographischen Darstellungen in Literatur, Film und sozialen Medien oder lassen sich spezifische Ästhetiken voneinander unterscheiden?  Welche Formen von Intermedialität und Multimodalität lassen sich beobachten? Welche psychologischen, sozialen und auch ökonomischen Funktionen erfüllen die medialen Selbstdarstellungen?

Aus fachdidaktischer Perspektive steht die Umsetzung eines konkreten Modells zur Förderung rezeptiver und produktiver autobiographischer Kompetenzen im Mittelpunkt. Daneben stellt sich unter anderem die Frage, wie eine kritische Auseinandersetzung mit autobiographischen Repräsentationsformen zu einem kompetenten Umgang mit Selbstdarstellungen in der digitalen Kultur führen kann. Außerdem soll der Frage nachgegangen werden, inwiefern gerade ein mehrsprachiger Kontext geeignet sein könnte, um durch eine Praxis des autobiographischen Erzählens produktive Formen der Identitätsbildung im Sinne des multilingual subject anzustoßen.

Dr. Jakob Willis