Filmbildung DaF

Filmkompetenz & Filmbildung

Der momentan gängige Begriff ›Filmbildung‹ erscheint wohl in seiner aktuellen Bedeutung im Jahre 2003 auf dem Kongress „Kino macht Schule“ (Bundes­zentrale für politische Bildung in Kooperation mit der Filmförderungsanstalt), dessen Betrachtungsgegenstand Filmerziehung und Förderung der Filmkompetenz im schulischen Kontext Deutschlands war. Erkannt und explizit ausgedrückt wurde, dass Kinder und Jugendliche von einer Bilderflut umgeben sind und daher im Umgang mit Medien eine spezielle Medienkompetenz benötigen. Bezüglich des Umgangs mit dem Medium ›Film‹ spricht man von Filmkompetenz, auch ›film literacy‹ genannt – die „Fähigkeit, bewegte Bilder lesen, die akustischen Signale von audio-visuellen Formaten deuten sowie das Medium ›Film‹ (kritisch) nutzen und gestalten zu können“ (Surkamp 2010a: 64).

Filmbildung als Bestandteil der Medienbildung wird globaler verstanden. In Anlehnung an Maurer (2006) verstehen wir unter Filmbildung sämtliche Vermittlungs-, Aneignungs-, Reflexions- und Handlungsprozesse im Umgang mit dem Medium Film.

Filmbildung im didaktischen Handlungsfeld Deutsch als Fremdsprache

Die Vermittlung der Filmkompetenz ist genauso für den muttersprachlichen wie für den fremdsprachlichen Unterricht relevant, denn Kinder und Jugendliche sind von der Bilderflut nicht nur ausschließlich in ihrer Erstsprache umgeben, sondern werden ständig auch mit Medien in einer fremden Sprache konfrontiert. Der Einsatz von Filmen im Fremdsprachenunterricht trägt ein enormes Potenzial in sich, erfordert jedoch zusätzliche Kompetenzen von Lehrenden (allgemeine filmpädagogische Kenntnisse sowie Kenntnisse der Filmdidaktik im Fremdsprachenunterricht) und Lernenden (neben konventionellen Komponenten der Filmkompetenz sind in diesem Zusammenhang vor allem interkulturelle sowie fremdsprachliche Kompetenzen erforderlich).

Die Bedeutung des Mediums Film im DaF-Unterricht und sein Lern­potenzial sind und bleiben unumstritten. Auf die Wichtigkeit des Videoeinsatzes im Fremdsprachenunterricht deuten zahlreiche Publikationen hin. Den ersten bedeutenden Meilenstein in der Entwicklung der Methodik/Didaktik des Videoeinsatzes im DaF-Unterricht legt Inge C. Schwerdtfeger mit ihrer bahnbrechenden Monographie (1989), in der sie bereits damals einforderte, Seh-Verstehen als 5. Fertigkeit im fremdsprachlichen Lernprozess anzuerkennen. Diese Fertigkeit etablierte sich in der Fremdsprachendidaktik als Fertigkeit des Hör-Seh-Verstehens. Der Förderung von Hör-Seh-Verstehen und die Arbeit mit audiovisuellen Medien gehören gegenwärtig zu den Grundlagen der Fremdsprachendidaktik. 

Das klassische Konzept des Hör-Seh-Verstehens ist jedoch nicht mit der Filmkompetenz und mit der Filmbildung gleichzusetzen. Das Hör-Seh-Verstehen umfasst die Arbeit mit allen audiovisuellen Mitteln, u.a. Fernsehsendungen, Fernsehnachrichten, didaktischen Lehr-/Lernfilmen sowie Spielfilmen. Audiovisuelle Medien werden dabei primär als unerlässliche (zu Recht!) Textsorten und Lehr-/Lernmaterialien zur Ausübung fremdsprachlicher kommunikativer Fertigkeiten und interkultureller Kompetenzen eingesetzt. Treffend ist in diesem Zusammenhang die Beschreibung des Hör-Seh-Verstehens von Blell/Lütge (2008: 128) als „Fähigkeit, fremdsprachliche Inhalte bildgestützt verstehend zu hören und zu sehen und sie sprachhandlungsorientiert zu verarbeiten“.

Die Deutung eines Spielfilms geht jedoch weit über den Bereich des Hör-Seh-Verstehens hinaus und erweitert diesen. Der Spielfilm als „Gesamtkunstwerk“ hat eine spezifische Filmsprache mit ihrer ganz eigenen „Grammatik und Syntax“. Jedes Bild, jede Kameraeinstellung, jede Bewegung der Schauspieler werden vom Regisseur wohlerwogen durchdacht. Hiermit stellt der Film immer ein gewisses Rätsel an seine Zuschauer. Um dieses Rätsel zu lösen, ist es nicht ausreichend, Bilder sehen und Töne hören zu können sowie das Gesehene in Verbindung mit dem Gehörten im Rahmen einer zeitlich begrenzten Filmszene zu bringen. Ausschlaggebend für die Interpretation des gesamten Filmes ist die Fähigkeit, das gesamte Bild- und Tongefüge eines Films zu deuten. Die Basisfertigkeit des Hör-Seh-Verstehens sollte bei der Arbeit mit Spielfilmen im Fremdsprachenunterricht durch die Filmkompetenz, die verstärkt den Kunstcharakter der Filme sowie das Filmerlebnis an sich unterstreicht, erweitert werden.

Einige DaF-Lehrende könnten einwenden, die Interpretation eines Spielfilms falle nicht in den Bereich des DaF-Unterrichts und sei die Aufgabe des Kunstunterrichts bzw. anderer muttersprachlicher Schulfächer. An der Stelle wäre jedoch an die primären Ziele des DaF-Unterrichts zu erinnern: Vermittlung der deutschen Sprache und Kultur. Werden etwa nicht die Sprache und Kultur vermittelt, indem die DaF-Lernenden mit deutschsprachigen Spielfilmen konfrontiert werden, die deutschsprachigen Regisseure und Schauspieler kennenlernen und durch die Filmdeutung und deren Projektion auf die Realität zu neuen Erkenntnissen gelangen? Der Fremdsprachenunterricht braucht die Medien- und Filmbildung, wie jeder andere Schulunterricht. Die schulische Filmbildung muss als fächerübergreifende Aufgabe wahrgenommen werden, bei der sich DaF-Lehrende genauso angesprochen fühlen wie Kunstlehrende oder Lehrende des Schulfachs „Muttersprache/Literatur“. Die Filmkompetenz unterscheidet nicht zwischen einzelnen Schulfächern und setzt beim Medienumgang keine Grenzen, sie geht quer durch alle Fächer und Disziplinen. DaF-Lehrende sollen sich der Tatsache bewusst werden, dass jeglicher Filmeinsatz im DaF-Unterricht nach einer gewissen Filmdeutung verlangt. Die Filmarbeit setzt eine Filminterpretation voraus, damit ein umfassendes Filmverständnis möglich wäre. Spielfilme im DaF-Unterricht bieten viel mehr, wenn sie nicht nur als Hör- und Seh-Texte in einer fremden Sprache wahrgenommen werden (deren Verständnis auf das Encodieren fremder Sprache und fremder Bilder reduziert wird), sondern als komplexe Kunstwerke.

Andere DaF-Lehrende wiederum würden evtl. der o.g. Schilderung zustimmen, jedoch eher dafür plädieren, dass sich Lernende Spielfilme in ihrer Freizeit oder im Rahmen eines anderen Schulfachs ansehen, z.B. in einer Übersetzung. Hier darf nicht vergessen werden, dass Spielfilme in der Originalfassung ihren Zuschauern eine einzigartige Möglichkeit bieten, sich in die authentische visualisierte sprachliche und kulturelle Filmwelt sowie ggf. in die Welt des Zielsprachenraums hineinzuversetzen. Jede, selbst eine professionelle Übersetzung zerstört die Authentizität des Films, entzieht den Schauspielern und Filmprotagonisten ihre authentische Stimme und Sprache und stellt zwangsläufig einen anderen räumlich-kulturellen Kontext her. Besonders relevant ist dieser Aspekt beim kulturbezogenen Lernen mit Filmen. Die Fremdsprachenlernenden haben durch ihre Sprachkenntnisse eine privilegierte Möglichkeit, sich die Filme in der Originalsprache anzuschauen und so am authentischen Kulturgut direkt teilzuhaben, und sie sollen diese Möglichkeit auch nutzen und davon profitieren. Diese direkte Teilhabe bedeutet einen nicht zu unterschätzenden Gewinn, denn jede Vermittlung, z.B. sprachliche Übersetzung ist mit unvermeidlichen (im besten Fall – kleinen) Verlusten verbunden. Hier braucht die Filmbildung den Fremdsprachenunterricht, da gerade der Fremdsprachenunterricht einen direkt(er)en sprachlichen und kulturellen Zugang zu fremdsprachigen Filmen gewährleisten sowie deren Authentizität bewahren kann.

Der Videoeinsatz im DaF-Unterricht verzeichnet zwar eine lange Tradition, jedoch ist die Schwelle vom Hör-Seh-Verstehen zur Filmbildung noch längst nicht überschritten. Dieses Verständnis zu vermitteln wäre wohl eine der künftigen Aufgaben der Filmdidaktik im DaF-Kontext.

Literatur:

Dieser Text stellt einen Auszug aus folgendem Beitrag dar: