Widersprüchliches Erinnern in der Migrationsgesellschaft

Prof. Dr. Katharina Brizić, Universität Freiburg

In meinem Vortrag werde ich über das Konzept der „Zeitzeug*innen“ sprechen: über Menschen also, die ein Ereignis extremer kollektiver Gewalt überlebt haben und nun in Schulen darüber vortragen, um den Schülerinnen und Schülern die Gefahren von Rassismus und Extremismus deutlich zu machen. Das Konzept wurde bislang weitestgehend von Überlebenden des Holocaust getragen, wird aber neuerdings auch auf Überlebende neuerer kollektiver Gewalt übertragen, etwa auf ezidische Frauen und Männer, die den Angriff des sogenannten „Islamischen Staates“ auf ihre Dörfer und Städte im Nordirak überlebt haben.

Ich werde jedoch nicht nur auf die Zeitzeug*innen fokussieren, sondern auch auf ihr Gegenüber im Gespräch: die Jugendlichen, die an das Erzählte mehr oder weniger stark, mehr oder weniger emotional anknüpfen. Dieses Anknüpfen wiederum hat besondere Bedeutung vor dem Hintergrund, dass in unserer Migrationsgesellschaft ja auch viele Schüler*innen selbst Fluchterfahrungen haben bzw. aus ihren Familien Erinnerungskulturen kennen, die von Verfolgung erzählen. Diese Erinnerungskulturen wiederum, die einander nun in den Schulen begegnen, können einander durchaus auch fundamental widersprechen, ja sogar miteinander in Konflikt geraten.

Wie kann unsere Gesellschaft mit unseren so vielstimmigen, so diversen kollektiven Erfahrungen umgehen? Wie kann den dabei aufbrechenden Konflikten begegnet werden? Wie kann in der Schule und darüber hinaus gelehrt und gelernt werden, auch jene Erinnerungskulturen und Erzählungen zu ach-ten, die nicht die jeweils eigenen sind?

Flyer Ringvorlesung