Geographien der Kindheit 

Status: laufend

Bearbeitung: Prof. Dr. Verena Schreiber

Projektförderung: u.a. „Nachwuchswissenschaftler/innen im Fokus“ der Goethe-Universität Frankfurt am Main

Veröffentlichungen: 

Projektbeschreibung: 

Aus dem Blickwinkel gouvernementalistischer Ansätze im Anschluss an die Studien Michel Foucaults plädiert das Projekt für eine stärkere Berücksichtigung von Machtverhältnissen und Ungleichheitsbedingungen, denen Kinder in besonderem Maße unterliegen. Es fokussiert auf die Widersprüche unserer Gesellschaft, die sich ihre Kinder (und deren Familien) im Spannungsfeld von Kontrolle und Restriktionen auf der einen Seite sowie der Initiierung von Autonomie- und Emanzipationsprozessen auf der anderen Seite hält. Dieses Spannungsfeld manifestiert sich besonders deutlich in der Stadt, die sich für Kinder als ein Mosaik einerseits höchst verdichteter Regulierungen und räumlicher Einschränkungen sowie andererseits als freiheitlicher Bewegungsraum darbietet. Aktuelle Stadtentwicklungs- und Sozialpolitiken (z. B. Soziale Stadt, kommunale Bildungslandschaften, Stadtteilmütter-Programm) greifen diese unterschiedlichen Zuschreibungen an und Nutzungsweisen von Stadt auf und versuchen, lokale Nahräume zu kreieren, mittels derer Kindheit als eine lückenlose, sich potenziell selbst steuernde Zirkulation durch alle möglichen Institutionen, wie Bildungseinrichtungen, Gesundheitsförderung, Kultureinrichtungen oder Sportstätten konzipiert und organisiert werden kann. Anleitende Fragestellung für diesen Teil des Projekts ist, wie die Quartiersorientierung von Sozialpolitik an der Regierung gegenwärtiger Kindheit mitarbeitet und ein spezifisches Verständnis zeitgemäßer Kindheit erwirkt.

Neben dieser programmatischen Annäherung an das Konzept gegenwärtiger städtischer Kindheit, scheinen für die Analyse der gelebten Wirklichkeit von Kindern in Städten und ihrem alltäglichen Geographie-Machen insbesondere Intersektionalitätskonzepte anschlussfähig. Intersektionalität ist eine maßgeblich von den Gender Studies beeinflusste Forschungsperspektive, die sich als integrierter Blick auf Ungleichheiten entlang der Achsen von Klasse, Geschlecht, Ethnizität und eben auch Alter und Raum verstehen lässt. Das in dem Konzept angelegte qualitative Vorgehen (z. B. in Form kollaborativer Kartierungsprojekte) ermöglicht, die im alltäglichen Geographie-Machen von Kindern erlebten vielschichtigen Ungleichheitserfahrungen und ihre (ggf. auch widerständigen) Übersetzungen in spezifisch kindliche Raumproduktionen, alternative Subjektivitätsentwürfe und Aneignungspraktiken des Städtischen zu identifizieren.

Übergeordnetes Ziel des Forschungsvorhabens ist es, kritische Kindheitsgeographie im deutschsprachigen Raum stärker zu verankern. Während sich in der anglo-amerikanischen Geographie dieses Themenfeld als eine eigenständige Teildisziplin mit eigenen Publikationsorganen, Lehrstühlen und Tagungen bereits seit längerem etablieren konnte, wurde hierzulande bislang kaum Interesse gezeigt, die Kategorie Kindheit systematisch in das geographisch-fachwissenschaftliche Repertoire aufzunehmen. Unsere Forschung soll dazu beitragen, diese Leerstelle zu füllen und aufzeigen, dass sich geographische Kindheitsforschung nicht in der Erweiterung des geographischen Themenspektrums und fachdidaktischen Problemstellungen erschöpft, sondern maßgeblich dazu beiträgt, gesellschaftliche Verhältnisse kritisch zu erschließen.