Qualitative Interviews am Telefon oder online durchführen

Dieses Papier entstand im Kontext der Coronavirus-Pandemie im Frühjahr 2020 und wurde im September desselben Jahres aktualisiert. Es soll basale Hinweise dazu geben, wie auch unter diesen Umständen qualitative Sozialforschung weiter möglich ist, ohne sich und andere einem Infektionsrisiko auszusetzen.

Die naheliegende Lösung sind telefonische Interviews – sei es über das Smartphone oder über Plattformen wie Zoom oder Skype. Bisher war diese Interviewform in der qualitativen Sozialforschung wenig verbreitet. Sie wird auch in der Methodenliteratur nur selten behandelt. Gut möglich allerdings, dass sich dies zukünftig ändert. Viele Forschende, mit denen ich in den letzten Wochen gesprochen habe, waren durchaus zufrieden mit den Ergebnissen ihrer nun erstmals telefonisch durchgeführten Interviews. (Für eine ausführlichere Diskussion der methodischen Vor- und Nachteile von qualitativen Telefoninterviews siehe Niederberger & Ruddat, 2012.)

Bei der Durchführung von qualitativen Interviews am Telefon gelten grundsätzlich dieselben Verhaltensregeln wie in einer face-to-face Situation. Sie können also die entsprechenden Hinweise aus der Methodenliteratur grösstenteils übernehmen. Darüber gilt es aber ein paar Dinge zu beachten. Dies betrifft einmal die technische Seite (insbes. die Aufnahme), zum anderen die sozial-kommunikativen Besonderheiten eines Interviews am Telefon.

Aufzeichnung von Telefoninterviews

Bei der Aufzeichnung von Interviews per Telefon/Zoom/Skype etc. stehen zwei wichtige Ziele im Zentrum:

  1. Sie brauchen eine möglichst gute Aufnahmequalität, sonst wird die spätere Transkription des Gesprächs extrem zeitaufwändig. Jede Minute, die Sie vorab in eine Verbesserung der Tonqualität investieren, sparen Sie später bei der Transkription mehrfach wieder ein.
  2. Die Technik soll während des Gesprächs möglichst wenig stören. Deshalb muss sie für Sie und Ihre Interviewpartner_innen einfach, zuverlässig und möglichst vertraut sein.

Allgemeine Tipps:

  • Der wichtigste Rat: Testen Sie Ihre Technik gründlich! Wenn ein tolles Interview nachher nicht verwendbar ist, ist das sehr schade.
  • Ihr Gegenüber sollte möglichst ein Headset benutzen oder das Smartphone direkt am Ohr haben. Die Tonqualität bei dem eingebauten Mikro des Computers oder bei einem auf Lautsprecher gestellten Smartphone ist meist sehr schlecht.
  • Sie selbst und Ihr Gegenüber sollten sich in einem ruhigen Raum ohne Nebengeräusche befinden, mit geschlossenen Fenstern.

Aufnahme direkt auf dem Smartphone

Die Aufnahme von Telefonaten auf dem Smartphone ist schwieriger als man denken könnte. Aufgrund der rechtlichen Probleme – Aufnahmen ohne Wissens des Gegenübers sind strafbar – wurden die technischen Möglichkeiten sehr eingeschränkt. Die verfügbaren Apps zur Aufnahme von Telefonaten funktionieren oft schlecht. Lesen Sie die Bewertungen im Appstore, gerade auch die neuen. Manche Apps, die früher funktionierten, gehen heute nicht mehr. Viele funktionieren nur auf manchen Geräten, auf anderen nicht oder eingeschränkt.

App-Empfehlungen:

Android: Cube ACR (im Playstore, die kostenlose Version reicht)
Die Tonqualität ist akzeptabel, die Aufnahmen lassen sich aus der App über die Funktion „Teilen“ per Bluetooth oder Email an den Computer senden. Bei mir (Sony Xperia X) funktioniert nur die Aufnahme normaler Telefonate, nicht Skype oder Whatsapp. Das Dateiformat ist AMR. Dieses gehört zwar nicht zu den offiziell unterstützen Formaten der von uns empfohlenen Transkriptionssoftware EasyTranscript, die Dateien liessen sich aber auf meinem Windows 10 PC trotzdem damit abspielen.

iPhone: Ohne Jailbreak gibt es im Moment offenbar keine kostenlosen Möglichkeiten. Es wird der kostenpflichtige Dienst TapeACall empfohlen: https://www.heise.de/mac-and-i/tipps/iPhone-Telefonate-aufnehmen-3840291.html

Zoom

Zoom hat sich während des Lockdowns zu einem breit genutzten Kommunikationstool entwickelt. Viele Ihrer Interviewpartner*innen werden es vermutlich kennen, was für die Nutzung spricht. Leider ist Zoom in der Vergangenheit immer wieder mit Datenschutzproblemen aufgefallen. Daher sollte es für sehr sensible Themen nicht verwendet werden.

Mit einem kostenlosen Account kann man aktuell (Sept. 2020) Zweiergespräche unbegrenzt führen und aufnehmen, Gruppengespräche (ab 3 Personen) dagegen nur max. 40 Minuten. Für die meisten qualitativen Interviews ist das zu kurz. Planen Sie daher gleich ein zweites Meeting direkt im Anschluss, in das Sie ggf. wechseln können.

Video ist für ein qualitatives Interview nicht unbedingt nötig. Richten Sie sich da nach den Wünschen Ihres Gegenübers. Sollte es zu Verbindungsproblemen kommen, kann die Abschaltung des Videostreams oft helfen.

Den Aufnahmeknopf finden Sie in der Funktionsleiste am unteren Bildschirmrand. Alle Beteiligten bekommen eine Meldung angezeigt, dass das Meeting nun aufgezeichnet wird. Holen Sie vorher das Einverständnis ein. Mehr Infos zur Aufnahme finden Sie hier: https://support.zoom.us/hc/de/articles/201362473-Lokale-Aufzeichnung

Die Tonqualität von Zoom ist akzeptabel, wenn Sie ein paar Dinge beachten:

  • Beide Seiten sollten, wenn möglich, ein Headset verwenden.
  • Vermeiden Sie gleichzeitiges Sprechen oder Nebengeräusche von Ihrem Mikrofon. Dadurch wird Ihr Gegenüber schnell unverständlich.
  • Sorgen Sie für eine stabile Internetverbindung (WLAN oder Kabel) auf beiden Seiten. Die Nutzung über mobiles Internet ist nicht zu empfehlen.

Skype und Alternativen

Auch Skype bietet eine eingebaute Aufnahmefunktion: https://support.skype.com/de/faq/FA12395/wie-zeichne-ich-skype-anrufe-auf. Die Tonqualität ist tendenziell schlechter als bei Zoom, dafür sind Verbindungen nicht zeitlich begrenzt. Ansonsten gelten dieselben Hinweise wie für Zoom.

Cleanfeed (https://cleanfeed.net): Eine kostenlose Online-App aus der Podcast-Szene, die bessere Tonqualität als Zoom oder Skype verspricht. Sie schicken Ihrem Gegenüber einen Link, mit dem sie oder er direkt im Browser teilnehmen kann. Einschränkung: Beide Seiten sollten den Google Chrome Browser verwenden – Sie selbst auf einem PC oder Mac, Ihr Gegenüber kann auch Chrome für iOS oder Android verwenden. Anleitung/Demo: https://www.youtube.com/watch?v=5zA_cd1P-Lw

Zencastr (https://zencastr.com/): Ähnlich wie Cleanfeed, ebenfalls kostenlos, keine bekannten Browsereinschränkungen. Allerdings berichten recht viele Nutzer*innen, dass längere Aufnahmen gegen Ende nicht mehr ganz synchron sind, dass also die Tonspuren Ihrer eigenen Stimme und die Ihres Gegenübers leicht auseinanderdriften können.

Notlösung oder Backup: Aufnahme über den Lautsprecher des Smartphones

Vorgehen: Das eigene Smartphone wird auf Lautsprecher gestellt, der Ton mit einem Mikrofon auf dem Computer oder einem zweiten Smartphone aufgenommen. Studierende haben diese Möglichkeit ausprobiert, die Qualität ist weniger schlecht als erwartet. Als Notlösung kann das durchaus funktionieren. Wichtig ist eine sehr ruhige Umgebung ohne Nebengeräusche und die Platzierung des Aufnahmemikros möglichst nah am Lautsprecher.

Vorbereitung und Durchführung von Telefoninterviews

Wenn Sie einen Termin für Ihr Telefoninterview ausmachen, bitten Sie die befragte Person,

  • sich ausreichend Zeit zu nehmen,
  • sich an einen ruhigen, ungestörten Ort zurückzuziehen – idealerweise in einem separaten Raum bei geschlossenen Fenstern,
  • der Aufnahme des Gesprächs zuzustimmen.
  • Besprechen Sie auch vorab die technischen Voraussetzungen – siehe dazu oben.

Zu Beginn des Gesprächs:

  • Halten Sie Papier, Stift und Leitfaden bereit.
  • Erinnern Sie nochmals daran, dass das Gespräch aufgezeichnet wird.
  • Ein wenig Smalltalk vorab ist gut, um warm zu werden. Sie können dies bereits aufnehmen, müssen es aber später nicht transkribieren (es sei denn, es gibt interessante Inhalte zu Ihrem Thema).

Während des Gesprächs:

  • Wie in allen qualitativen Interviewsituationen gilt: Halten Sie sich selbst zurück, lassen Sie Ihr Gegenüber ausführlich erzählen. Wenn mal eine kurze Pause entsteht, ist das auch kein Problem; vielleicht denkt Ihr Gegenüber nur nach. Werden Sie nicht ungeduldig.
  • Wenn Ihnen eine gute Anschlussfrage in den Sinn kommt, machen Sie sich eine kurze Notiz. Unterbrechen Sie Ihr Gegenüber möglichst nicht. Bereits erledigte Themen/Fragen können Sie auf Ihrem Leitfaden durchstreichen.
  • Bestätigungsformeln wie „Hmm“ lassen die interviewte Person wissen, dass Sie noch da sind und aufmerksam zuhören. Das ist gut, er oder sie kann Sie ja (meist) nicht sehen. Allerdings kann es hier je nach Aufnahmemethode ein Problem geben: Insbesondere bei Skype oder Zoom wird Ihr Gegenüber schnell unverständlich, sobald von Ihrer Seite Töne übertragen werden. Andere Aufnahmemethoden sollten da unempfindlicher sein (vorher testen).

Am Ende des Gesprächs:

  • Hier gibt es wenig Spezielles zu beachten, es gelten die allgemeinen Regeln:
    – Stellen Sie eine offene Abschlussfrage (z.B.: „Gibt es von deiner/ihrer Seite noch etwas zum Thema, das wir bisher noch nicht besprochen haben?“).
    – Danach sollten Sie noch Ihren Kurzfragebogen mit den soziodemographischen Angaben zur Person gemeinsam ausfüllen (oder Sie senden den Fragebogen schriftlich per Email).
    – Nachdem Sie das Telefonat beendet haben, kontrollieren und sichern Sie Ihre Aufnahme.

Literatur

Marlen Niederberger & Michael Ruddat. (2012). „Let’s talk about sex!“ Über die Eignung von Telefoninterviews in der qualitativen Sozialforschung. Forum Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research 13 (3). http://​nbn-resolving.de​/​urn:​nbn:​de:​0114-​fqs120329. Zugegriffen: 18. März 2020.

Zitation:

Dröge, Kai (2020). Qualitative Interviews am Telefon oder online durchführen.  QUASUS. Qualitatives Methodenportal zur Qualitativen Sozial-, Unterrichts- und Schulforschung. URL https://www.ph-freiburg.de/quasus/was-muss-ich-wissen/daten-erheben/interviews/qualitative-interviews-online-oder-am-telefon-durchfuehren.html