Paarinterviews im interpretativen Paradigma

Wann werden Paarinterviews eingesetzt?

Paarinterviews – gemeinsame Interviews mit beiden Partner*innen eines Paares1– werden in der interpretativen Sozialforschung zunehmend, aber noch immer deutlich seltener als Einzelinterviews verwendet. Mit Simmel, Berger und Kellner (1965) verstehen wir aus wissenssoziologisch-sozialkonstruktivistischer Perspektive die (Liebes-)Paarbeziehung als eine Realität sui generis, die es als eigenständigen Analysegegenstand zu (er-)fassen gilt, wird doch im Paar von den Partner*innen in Interaktionen, Aushandlungen und alltäglichen (Routine-) Handlungen eine eigene, emergente Wirklichkeit (ebd.) geschaffen (vgl. Wimbauer 2012). Mit dem gemeinsamen Paarinterview können spezifische Erkenntnisinteressen verfolgt werden, die sich mittels Einzelinterviews mit beiden Partner*innen nicht einholen lassen.

Paarinterviews stellen kollektive Erhebungsformen dar, unterscheiden sich aber beispielsweise von Gruppendiskussionen. Seine Stärken kommen besonders zum Tragen, wenn das Paar als eigenständige Analyseeinheit und die Paarebene als solche im Zentrum des Forschungsinteresses stehen: Paarinterviews erlauben es, die Interaktionen im Paar (vgl. ALLAN 1980) und die (gemeinsamen oder nicht gemeinsamen) Wirklichkeitskonstruktionen und (gemeinsam geteilte oder divergierende Deutungen und ungleiche Deutungshoheiten) von Paaren in situ erfahrbar zu machen. Auch können sie verschiedenste Paarperformances, Aushandlungs- und Herstellungsprozesse sowie Macht- und Ungleichheitsverhältnisse im Paar erfassen. Sie liefern damit Einblicke in die konkrete Paarpraxis und in die Darstellung dieser Paar-Praxis im Interview als doing couple, aber auch als doing gender, doing family, doing recognition oder doing inequality. Mit dem Blick auf Paare und auf Individuen in Paarbeziehungen mit Hilfe von Paarinterviews können wesentlich Macht- und Ungleichheitsverhältnisse im Paar (vgl. Rusconi/Wimbauer 2013) sowie die Prozesshaftigkeit und Dynamik des Sozialen ausschnitthaft beobachtet werden (vgl. Wimbauer/Motakef 2017a,b).

Als zentrale Schwäche wird oft genannt, das Konflikte im Paarinterview dethematisiert würden und Dissens zwischen den Partner*innen nicht oder seltener zutage treten, da die Partner*innen vor den Interviewer*innen „eine gewisse Präsentationsfassade errichten“ (Przyborski/Wohlrab-Sahr 2014: 109f.). Diese Schwäche ist allerdings umstritten, zudem können ergänzende Einzelinterviews mit beiden Partner*innen geführt werden, um mögliche Dissensfelder und Konflikte anzusprechen (ausführlich: Wimbauer/Motakef 2017a,b).

Bisher wurden vor allem geschlechter- und ungleichheitssoziologische Fragen mittels Paarinterviews untersucht. Wichtige Themen sind u.a. 1. empirisch begründete, grundlagentheoretische Arbeiten zum doing (being) couple, 2. der Wandel von Geschlechterverhältnissen und Persistenzen sowie Veränderungen von Macht- und Ungleichheitsverhältnissen in Paaren sowie 3. Herausforderungen von Transitionsphasen (etwa der Übergang zu Elternschaft) für Paare.

Wie werden Paarinterviews durchgeführt und ausgewertet?

Mit Blick auf die Interviewführung können verschiedene Interviewvarianten verwendet werden. Um die Stärken des Paarinterviews – die Erfassung des doing couple und der (nicht) gemeinsamen Wirklichkeitskonstruktion – einlösen zu können, scheint eine Kombination aus teilleitfadengestütztem und narrativem Interview zielführend. Wesentlich ist, die Befragten in der Eingangserzählung und im gesamten Interview zu gemeinsamen Erzählungen und zu Aushandlungen über das Erzählte und die Form des Erzählens anzuregen. Die Leitfadenentwicklung bedarf daher besonderer Aufmerksamkeit, sollen doch zahlreiche aushandlungsgenerierende, verbal und nonverbal an beide Partner*innen adressierte Fragen enthalten sein.

So bitten wir die Paare eingangs i.d.R., zu erzählen: „Wie sind Sie zu einem Paar geworden?“ Üblicherweise generiert dies Aushandlungen darüber, wer zu erzählen beginnt, wann und wo die Paargeschichte ihren Ausgangspunkt nimmt, ob es sich um eine gemeinsame oder um zwei unterschiedliche Geschichten handelt, die von einem der beiden oder von beiden gemeinsam oder antagonistisch erzählt wird u.v.a.m. Auch Konflikte können hier deutlich werden; so antwortete eine Befragte, die sich in einer Beziehungskrise befand, zunächst mit „Was wollen Sie da schon groß wissen?“. Für ausführliche Hinweise zur Leitfadenerstellung und empirische Beispiele siehe Wimbauer/Motakef (2017a,b)

Mögliche Auswertungsmethoden sind vielfältig. Zielt das Forschungsinteresse auf die Interaktionen, Aushandlungen und Herstellungsleistungen (u.a. von Ungleichheiten) im Paar, so bieten sich hermeneutische, rekonstruktive Verfahren an, etwa die objektive oder wissenssoziologische Hermeneutik oder die dokumentarische Methode (ausführlich siehe Wimbauer/Motakef 2017b).

Wenn gleich das Paarinterview eine eigenständige Erhebungsform darstellt und besondere Stärken bietet (ausführlich: ebd.), zählt es noch nicht als Standarderhebungsinstrument. Weitere Forschungen und methodische Diskussionen sind daher erforderlich, etwa zu den Unterschieden und Gemeinsamkeiten von Paarinterview und Gruppendiskussion oder zur Übertragbarkeit der Stärken des Paarinterviews auf andere (a-/symmetrische) Dyaden (Morgen 2016) als ‚Liebes-‘Paare (etwa Freunde, Arbeitskolleg*innen oder Elter-Kind-Dyaden) oder auf Triaden (vgl. Wimbauer/Motakef 2017b).

1Insbesondere sind damit „Liebes“-Paare im Sinne einer wie auch immer geschlechtlich zusammengesetzten intimen Zweierbeziehung gemeint. 

Literatur:

  • Allan, Graham (1980). A note on interviewing spouses together. Journal of Marriage and Family, 42(1), 205-210.
  • Berger, Peter L. & Kellner, Hansfried (1965). Die Ehe und die Konstruktion der Wirklichkeit. Eine Abhandlung zur Mikrosoziologie des Wissens. Soziale Welt, 16(3), 220-235.
  • Morgan, David L. (2016): Essentials of Dyadic Interviewing. London, New York: Routledge.
  • Przyborski, Aglaja & Wohlrab-Sahr, Monika (2014). Qualitative Sozialforschung: ein Arbeitsbuch (3. Aufl.). München: Oldenbourg.
  • Rusconi, Alessandra & Wimbauer, Christine (2013). Paare und Ungleichheit(en) – eine Einleitung. In Dies., Mona Motakef, Beate Kortendiek & Peter A. Berger (Hrsg.), Paare und Ungleichheit(en) – Eine Verhältnisbestimmung. Sonderband 2 der Zeitschrift GENDER (S.10-36). Opladen: Barbara Budrich.
  • Wimbauer, Christine (2012). Wenn Arbeit Liebe ersetzt. Doppelkarriere-Paare zwischen Anerkennung und Ungleichheit. Frankfurt/M.: Campus.
  • Wimbauer, Christine & Motakef, Mona (2017a). Das Paarinterview in der soziologischen Paarforschung. Method(olog)ische und forschungspraktische Überlegungen [87 Absätze]. Forum Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research, 18(2), Art. 4, http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0114-fqs170243.
  • Wimbauer, Christine & Motakef, Mona (2017b). Das Paarinterview im interpretativen Paradigma. Methodologie – Methode – Methodenpraxis. Wiesbaden: VS.

Artikel verfasst von Christine Wimbauer & Mona Motakef (2017)

Zitation:

Wimbauer, Christine/Motakef, Mona (2017). Paarinterviews im interpretativen Paradigma.  QUASUS. Qualitatives Methodenportal zur Qualitativen Sozial-, Unterrichts- und Schulforschung. URL https://www.ph-freiburg.de/quasus/was-muss-ich-wissen/daten-erheben/interviews/paarinterviews.html