Qualitative Data Analysis - Ein Überblick
Spezielle Software zur Unterstützung qualitativer Analyse wird seit den frühen 80er Jahren entwickelt; seit den letzten 15 Jahren wird Qualitative Data Analysis Software ‘Mainstream’ (mehr zur Geschichte von QDAS in diesem Interview mit Softwareentwickler Udo Kuckartz). Ob – und welche – Software in Instituten oder Forschungsgruppen genutzt wird, hängt stark von den Präferenzen der Forschenden und Lehrenden ab. Zudem ist Qualitative Data Analysis Software in den meisten Universitäten nicht oder unzureichend in die Methodenlehre integriert; nicht alle Studierenden haben damit die Möglichkeit mit Software im Rahmen ihrer Ausbildung zu experimentieren.
Kann Software meine Daten qualitativ analysieren?
https://www.youtube.com/watch?v=tLKfaCiHVic&t=44s
Software unterstützt qualitative Forschungsprozesse, doch das Verstehen sozialer Wirklichkeit und die Interpretation von (sprachlicher) Bedeutung können nicht von Maschinen übernommen werden (Kelle 1995). Einige AnbieterInnen experimentieren derzeit mit Algorithmus-basierter automatischer Analyse – allerdings sollten derartige Automatismen nicht mit dem Label “qualitative Analyse” besetzt werden, da sie keine Verstehensprozesse darstellen.
Terminologie
Verbreitet sind zur Zeit die Abkürzungen CAQDAS (Computer Assisted Qualitative Data Analysis Software) und QDAS (Qualitative Data Analysis Software).
QDAS als Codiermaschine….
Fast alle Programme haben eine Codierfunktion: Man kann in QDAS Textsegmente ‘markieren’, ‘taggen’, in verschiedene Code-Schubladen sortieren. Im englischsprachigen Raum wird qualitative Analyse oftmals mit dem Verfahrensschritt des ’codierens’ gleichgesetzt; folglich wird QDAS meist als Codier-Software genutzt und wahrgenommen. Die Prominenz von Codierfunktionen in Software trägt wiederum dazu bei, eine codierlastige Methoden- und Prozessorthodoxie und speziell Lippenbekenntnisse zur Grounded Theory zu verstärken. (s. hierzu Coffey, Holbrook & Atkinson 1996; Suddaby 2006).
Auch die Lehre von Software beeinflusst die eingeschränkte Wahrnehmung von QDAS als Codiertool. Viele NutzerInnen bringen ungenügende methodologische Fundierungen mit wenn sie erstmals Software nutzen oder erlernen (Silver/Woolf 2015; Carvajal 2002), und das einfache Sortieren von Daten kann schnell und ohne methodische Basis in Workshops gelehrt werden (mehr zum Thema hier).
…und Schreibwerkstatt
Schreiben ist eine (wenn nicht die) fundamentale Technik zur Explizierung des Impliziten sowie für die Herstellung analytischer Reflexivität und Nachvollziehbarkeit. In guter QDAS können Notizen, Zusammenfassungen aus der Analysegruppe, Ideen oder Literatur in einer zentralen Projektdatei zu organisiert werden. Diese ‘Memos’ können an bestimmte Textstellen geheftet werden, an bestimmte Interviewfälle, oder an weitere Memos. QDAS sind eine Werkstatt für vernetztes Schreiben.
Ob Software zum mechanistischen Codieren oder als Denk- und Schreibwerkstatt genutzt wird hängt von den UserInnen ab. Die Nutzung von QDAS bedeutet überdies nicht, dass alle Analyseschritte in der Software vonstatten gehen. Es ist beispielsweise sinnvoll, einen ersten Lesedurchgang inklusive Feinanalyse auf Papier durchzuführen, um dann die ersten Lesarten/Interpretationen in der Software festzuhalten und mit den Daten zu verlinken.
Welche Programme gibt es?
NVIVO, ATLAS.TI und MAXQDA werden seit den 1980ern entwickelt und sind weltweit am weitesten verbreitet; sie werden manchmal als “The Big Three” bezeichnet. Sie bieten eine breite Reihe von Funktionen, die sich stark überschneiden. Jedoch ist zu beachten, dass Details beim Import und bei der Darstellung der Daten gravierende Konsequenzen für Nutzungskomfort und Funktionalität mit sich bringen. Einführende (wenngleich relativ schnell veraltende) Vergleiche finden sich hier und hier, sowie in Lewins und Silver’s “Using Software in Qualitative Research”.
Videos und Audiodaten können in die meisten QDAS integriert werden. Die dezidierte Analyse von Videos und komplexen Transkripten wird jedoch in den wenigsten Programmen ausreichend unterstützt (mehr zum Thema hier). Falls Videodaten komplex und feingliedrig analysiert werden, empfiehlt sich die Nutzung spezialisierter QDAS für Videoanalyse, wie beispielsweise Transana und Studiocode.
Eine Reihe neuerer kommerzieller Programme (z.B. Quirkos , Dedoose, QuintextA, F4analyse) sind typischerweise günstiger in der Anschaffung, und etwas spezialisierter bezüglich ihrer Funktionen.
Gibt’s das umsonst?
Im Bereich der Statistik ist Freeware (z.B. “R”) eine weit verbreitete Alternative zu kommerziellen Programmen. Das ist noch nicht der Fall für QDAS. (Eine Ausnahme stellt lediglich AQUAD 7 dar und eignet sich für sequenzanalytische Verfahren wie die Objektive Hermeneutik sowie zur Einbindung multimedialer Daten, wie bspw. Texte, Audio- ,Video- und Bilddateien. Analysen können auch in andere Programme (wie bspw. „R“) exportiert und weiteranalysiert werden. Weitere Informationen sind hier zu finden) [Anm. d. Red.]. Typischerweise kann Software für kurze Zeit kostenlos getestet werden; Lehrende können kostenfreie Semesterlizenzen beantragen, falls sie QDAS in ihre Seminare integrieren. Je nach Programm variiert der Lizenzpreis zwischen 20 und 600 Euro; einige AnbieterInnen berechnen monatliche Gebühren anstatt eines einmaligen Anschaffungspreises. Die meisten AnbieterInnen bieten erheblichen Studierenden-Rabatt, wobei die Software oftmals per Semester oder Kalenderjahr geleast wird. Idealerweise wird die Wahl der Software von methodologischen Überlegungen abhängig gemacht, und nicht vom Preis.
Betriebssysteme und Hardware
Die meisten Programme laufen sowohl auf MAC OS und Windows; Support für Linux ist im Moment noch die Ausnahme (z.B. Dedoose & Quirkos).
Hardware ist genauso wichtig wie Software. Der Vorteil von QDAS liegt darin, dass man verschiedene Textstellen, Notizen, Mindmaps und Visualisierungen gleichzeitig und vernetzt navigieren kann. Allerdings kann man diesen Vorteil nicht nutzen, wenn man hinter einem kleinen Laptopmonitor sitzt. Auf jeden Fall sollte ein zusätzlicher Monitor an ein Laptop angehängt werden; ideal sind zwei große Bildschirme. QDAS kann in Analysegruppen nur dann effektiv genutzt werden, wenn alle UserInnen einen guten Blick auf die Software haben. Es empfiehlt sich daher, an TV-Bildschirmen oder vor Projektoren zu arbeiten. (Bild unten einfügen). Es empfiehlt sich zudem, eine qualitativ hochwertige Maus zu verwenden um präzise und ergonomisch zu arbeiten zu können.
Kritische Anmerkung: QDAS und akademische Produktionskultur Nehmen Sie sich Zeit, die Webseiten kommerzieller Programme anzuschauen – oder noch besser: kopieren Sie die Werbetexte, um sie in verschiedenen QDAS Demoversionen zu analysieren! HerstellerInnen positionieren ihre Programme verständlicherweise entlang akademischer Trends (z.B. Social-Media-Analyse, Visualisierung Mixed Methods). Gerne wird auf akademische Berufszwänge wie Zeit- und Legitimationsdruck verwiesen und (mal mehr, mal weniger subtil) suggeriert, dass Softwarenutzung Zeit spare, mehr Daten analysiert (und quantifiziert) werden könnten, und dass die Arbeit generell professioneller, wissenschaftlicher, ‘härter’ dastehe dank eines speziellen kommerziellen Produkts. QDAS sind hilfreiche Werkzeuge, die die Arbeit mit qualitativen Daten erleichtern, und in bestimmter Weise auch transformieren. Sie sind jedoch keine schnelle Lösung für grundlegende Probleme einer beschleunigten akademischen Produktionskultur.
Literatur:
- Coffey, A., Holbrook, B., & Atkinson, P. (1996). Qualitative Data Analysis: Technologies and Representations. Sociological Research Online, 1(1). Retrieved from journals.sagepub.com/doi/10.5153/sro.1
- Kelle, U. (1995). Introduction: An overview of computer-aided methods in qualitative research. In U. Kelle, (Ed.), Computer-aided qualitative data analysis (19-28). London a.o.:Sage.
- Suddaby, R. (2006). From the editors: What grounded theory is not. Academy of Management Journal 49(4), 633–642.
- Carvajal, D. (2002). The Artisan ’ s Tools . Critical Issues When Teaching and Learning CAQDAS. Forum Qualitative Social Research, 3(2). Retrieved from http://www.qualitative-research.net/index.php/fqs/article/view/853.
- Fielding, N.G./ Lee, R.M. (1998). Computer Analysis and Qualitative Research. Sage Publications: London.
- Lewins, A./ Silver, C. (2009). Choosing a CAQDAS package. Retrieved from: www.researchgate.net/publication/279650632_Choosing_a_CAQDAS_Package
- Silver, C., & Woolf, N. N. (2015). From guided-instruction to facilitation of learning: the development of Fivelevel QDA as a CAQDAS pedagogy that explicates the practices of expert users. International Journal of Social Research Methodology.
Weiterführende Literatur:
- Gibbs, G. (2014). Using software in qualitative analysis. In U. Flick (Ed.), The Sage handbook of qualitative data analysis (pp. 277-294). Los Angeles, CA: Sage.
- Schmieder, C. (2014). Zur Wahl von QDA-Software. Hintergründe, Funktionalität, Hilfestellungen (Gastkapitel). In: Kruse, J.: Einführung in rekonstruktive Interviewforschung. Weinheim: Juventa.
Artikel verfasst von Christian Schmieder (2017)
Zitation:
Schmieder, Christian (2017). Qualitative Data Analysis - Ein Überblick. QUASUS. Qualitatives Methodenportal zur Qualitativen Sozial-, Unterrichts- und Schulforschung. URL https://www.ph-freiburg.de/quasus/wer-kann-mir-helfen/software.html