Gruppendiskussionsstimuli

1. Eher Gespräch als Diskussion

Die Bezeichnung des Gruppendiskussionsverfahrens (GDV) ruft bei vielen Forschenden die Assoziation hervor, es ginge darum die Teilnehmenden zu einem möglichst konträren Schlagabtausch zu motivieren. Ganz im Gegenteil sollen den SprecherInnen möglichst wenige Vorgaben im Hinblick auf ihren Interaktionsmodus gemacht werden, bezieht sich das GDV doch in seiner methodologischen Anlage darauf, dass gerade die Art der Interaktion Aufschlüsse über kollektive Orientierungen bieten kann. So ist es bspw. während einer Gruppendiskussion zum Thema „Online-Konflikte“ fester Bestandteil der Interaktion einer Gruppe Jugendlicher, sich gegenseitig verbal massiv abzuwerten, gleichzeitig jedoch über einen geteilten Humor Verbundenheit herzustellen. In der späteren Analyse der Diskussionspassagen zeigt sich ein dazu äquivalentes „inhaltliches“ Motiv, des „Spaß-Dissens“, das keinen eigentlichen Angriff oder Konflikt darstellt.

Wichtig für die Erhebung von Gruppendiskussionen ist es also, dass sich ein sog. selbstläufiger Diskurs entwickeln kann, d.h. ein Gespräch, innerhalb dessen sich die Gruppe ihres Relevanzsystems (und damit ihrer kollektiven Erfahrungen) in Erzählungen und Beschreibungen versichert und nicht die Relevanzen der/des Interviewenden bearbeitet. Um dies zu realisieren ist erstens ein stark reflexives Handeln seitens der Moderation in der Erhebungssituation notwendig und zweitens ein Leitfaden für die Gestaltung des Gesprächs erforderlich, der einerseits Orientierung gibt, gleichzeitig den Interaktionsmodus jedoch nicht zu sehr einschränkt und vor allem Raum lässt für die „eigentlichen“ Themensetzungen der Gruppe.

Reflexive Prinzipien zur Moderation von Gruppendiskussionen

1. „Die gesamte Gruppe ist Adressatin der Interventionen. Die Interventionen und Fragen der Diskussionsleitung sind nicht an einzelne Personen, sondern an die gesamte Gruppe adressiert. Damit soll vermieden werden, dass die Forschenden direkten Einfluss auf die Verteilung der Redebeiträge nehmen.

2. Vorschlag von Themen, nicht Vorgabe von Propositionen. Mit der Ausgangsfragestellung und durch die Nachfragen der Diskussionsleitung werden lediglich Themen initiiert, nicht Propositio-nen vorgegeben, das heißt, es sollen Vorgaben dahin gehend vermieden werden, in welcher Weise, in welcher Richtung, also innerhalb welchen Orientierungsrahmens das Thema bearbeitet wird.

3. Demonstrative Vagheit. Die Fragestellungen seitens der Diskussionsleitung sind bewusst und demonstrativ vage gehalten. Hiermit werden also (milieuspezifische) Fremdheit und Unkenntnis signalisiert, wie dies der methodologischen Grundhaltung der Fremdheit in der Wissenssoziologie, der Phänomenologischen Soziologie und Ethnographie entspricht […]

4. Kein Eingriff in die Verteilung der Redebeiträge. Idealerweise erfolgen die Nachfragen erst, nachdem Mitglieder der Gruppe die Gelegenheit, den Redebeitrag, den „turn“ zu übernehmen, nicht wahrgenommen haben.

5. Generierung detaillierter Darstellungen. Die Fragen und Nachfragen sollen so gehalten sein, dass sie detaillierte Beschreibungen oder auch Erzählungen zu generieren vermögen. Mit detaillierten Darstellungen soll der Zugang zur (Rekonstruktion der) Handlungspraxis und dem ihr zugrunde liegenden Modus Operandi, dem (kollektiven Habitus), ermöglicht werden. Erreicht wird dies zum einen, indem direkt bzw. explizit „erzählungen“ und „Beschreibungen“ und/oder „Erleben“ nachgefragt werden (z.B.: „Könnt Ihr einmal erzählen oder beschreiben, was Ihr damals so erlebt habt, als…?). […]

6. Immanente Nachfragen. Immanente, d.h. auf ein bereits gegebenes Thema und dem bereits gegebenen Orientierungsrahmen gerichtete Nachfragen haben Priorität gegenüber exmanenten, d.h. auf die Initiierung neuer Themen gerichteten.

7. Die Phase exmanenter Nachfragen. Nachdem (in der intuitiven Einschätzung der Diskussionsleitung) der dramatische Höhepunkt der Diskussion überschritten sit und somit für die Gruppe selbst zentrale Themen (Fokussierungsmetaphern) abgearbeitet worden sind, werden nun (in exmanenter Weise) die für die Forschenden selbst relevanten und bisher nicht behandelten Themen eingebracht.“ (Bohnsack 2007, 380f)

2. Fragen zur Entwicklung von GD-Stimuli
  • Welche Medienarten sollen warum als Stimuli eingesetzt werden (sprachliche Stimuli, Fotografien, Videos, Comics, Zitate, kurze Hörspielsequenz etc.)?

Beispiel: Ein Plakat als Erzählstimulus für Gruppendiskussionen mit Fußballbegeisterten zum Thema Ausgrenzungsprozesse im Fußball (Degele/Janz 2011, 55ff)

  • Über welche Themenbereiche kann sich die Gruppe miteinander austauschen und dabei auf eigene Erfahrungen zurückgreifen?

Beispiel: Frage an Studierende Sozialer Arbeit im Projekt „Geschlechterkonstruktionen im Studium Sozialer Arbeit“ (Niermann 2011):

„Jetzt studieren ja auch hier an der Hochschule deutlich mehr Frauen als Männer Soziale Arbeit. Was heißt das für Euch im Alltag?“

Literatur:

  • Bohnsack, Ralf (2007): Rekonstruktive Sozialforschung: Einführung in qualitative Methoden. 8. Auflage. Barbara Budrich: Opladen.
  • Degele, Nina/ Janz, Caroline (2011): Hetero, weiß und männlich? Eine Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung zu Homophobie, Rassismus und Sexismus im Fußball. Druckerei Brandt: Bonn.

Artikel verfasst von Debora Niermann (2013)

Zitation: 

Niermann, Debora (2013). Gruppendiskussionsstimuli. QUASUS. Qualitatives Methodenportal zur Qualitativen Sozial-, Unterrichts- und Schulforschung. URL https://www.ph-freiburg.de/quasus/wie-kann-ich-vorgehen/erhebungsinstrument-entwickeln/gruppendiskussionsstimuli.html